Später Besuch
Trallop, Ende Praios 1043 BF.
Geschwind und beinahe lautlos glitt das reich verzierte Holzboot den Pandlaril hinauf – zu schnell für ein einfaches Ruderboot. Seine Gestalt legte nahe, dass es elfischer Fertigung war. Unbemerkt machte die elegante Barke am Altentralloper Flusshafen fest und eine schlanke Gestalt mit einem grün-grauen Kapuzenumhang sprang behände an Land. „Es wird nicht lange dauern, Alwalir. Und dann müssen wir zurückeilen.“ Eine melodische Stimme gab die Antwort: „Aî, wir werden schneller sein als jede alwaselja.“
***
Die alltägliche Emsigkeit auf der Bärenburg war zum Erliegen gekommen, der Abend spät geworden und Lichter erhellten allenthalben die winzigen Fenster und Scharten der alten Feste. Feiner Nebel hatte sich über das Weidener Land gelegt und Wolken hingen tief über dem Neunaugensee.
In der Herzogenhalle hatte sich die Herrscherin der Weidenlande auf dem Bärenthron zurückgelehnt und hob ein Krüglein Bärentod an die Lippen. Endlich war das Tagesgeschäft vollbracht und sie war allein, sie hatte auch das Gesinde hinausgeschickt. Walpurga ordnete ihre Gedanken und blickte sich dabei sinnierend im großen Saal um.
Da vernahm sie ein energisches Klopfen an der Tür – und sie ahnte, dass sie würde warten müssen, um ihren Gedanken ungestört nachhängen zu können. Die beiden Bärenritter vor der Tür wussten, dass sie heute nicht mehr gestört werden wollte. Walpurga fragte sich kurz, für wen wohl sie diesen deutlichen Hinweis einfach so in den Wind schlagen würden. „Einerlei, bringen wir es hinter uns ... Herein“, rief die Herzogin und straffte ihre Haltung.
Die Tür wurde aufgestoßen und eine schlanke, hochgewachsene Gestalt trat ein. Schritt mit forschem Gang auf den Thron zu und kniete schließlich vor ihr nieder. Sie schlug die Kapuze ihres graugrünen Umhangs zurück und das Licht der Fackeln ließ das lange, Walpurga wohlbekannte, Haar schimmern wie fließendes Kupfer. „Rondra zum Gruße, Hoheit. Ich weiß, dass Euer Tag lang war und ich werde ihn nicht über Gebühr ausdehnen, doch ich habe Euch etwas Wichtiges zu sagen.“ Die Gräfin Balihos blickte Walpurga forschend an und neigte dann ihr Haupt. Walpurga fiel auf, dass die Nordfalkin entgegen ihrer sonstigen Art weder gerüstet war, noch ihren Zweihänder mit sich führte. „Ardariel, Rondra zum Gruße! Los steh’ auf. Was treibst Du hier? Hast Du nicht gerade Rat halten lassen? Willst Du Bericht erstatten? Das kann doch warten.“
Geschmeidig erhob sich die Nordfalkin. „Bericht? Nein, das können andere machen. Linnart wird sicherlich bald vom Rat Kunde bringen. Ich habe Euch etwas überaus Wichtiges anzukündigen. Etwas, das weitreichende Konsequenzen haben wird – und glaubt mir, das fällt mir beileibe nicht leicht.“ Ardariel holte tief Luft.
Walpurga erhob sich, griff nach zwei Hörnern mit Bier und trat auf die Gräfin Balihos zu. Sie reichte Ardariel eines davon, „Grevensteiner aus der gestrigen Lieferung. Vielleicht erhellt das dein Gemüt etwas. Prost!“ Ardariel nahm das Horn, lächelte ein wenig und trank mit einem Nicken in Richtung der Herrin der Weidenlande. Walpurga erkannte, dass das Lächeln nicht die Augen der Gräfin erreichte. Ohnehin wirkte Ardariel müde und in sich gekehrt. Dabei hätte Walpurga eher erwartet, dass sie gereizt sein würde, wie es ihre eigentliche Natur war. „Nun denn, Baliho. Was ist so wichtig und so geheim, dass es nicht eine Audienz abwarten konnte?“
Die Gräfin nahm einen weiteren Schluck und straffte sich. „Herrin, ich will keine Ausflüchte machen und keine Rechtfertigung suchen. Aber Ihr müsst vorbereitet sein und sollt es von mir selbst hören, bevor die Dinge ihren Lauf nehmen. Vermutlich seid Ihr die letzte, der ich das erklären muss, zu viel haben wir gemeinsam, im Schild unseres Lebens. Einerlei, ich zögere es nur hinaus. Herrin, Ihr wisst, dass mein Schwert und mein Leben Euch gehören, es immer taten und auch immer tun werden. Immer bin ich Eurem Befehl gefolgt, so wie es sich geziemt. So werde ich, mit der Segenshuld der Sturmherrin, auch den Aarenstein für Euch zurückgewinnen. Doch das wird der letzte Ritt unter Balihos silbernem Rad für mich sein.“
Walpurga blickte die Gräfin völlig überrumpelt an. „Was redest du da? Die Donnergleiche wird dir den Sieg schenken und du wirst nach Räuharsch zurückkehren!“ Ernst schüttelte die Nordfalkin den Kopf. „Das meinte ich nicht, Herrin. Wenn es der Unbezwungenen gefällt, dann wird die Graftschaft Baliho nach diesem Schwertzug endlich befriedet sein. Und dann ist das Wort meines hohen Vaters erfüllt, Grafenrecht wird wieder in den Landen am Pandlaril herrschen. Und ich bin dann meinem Erbe gerecht geworden, habe das Versprechen des Hauses Nordfalk gehalten. Und dann muss ich mich dem widmen, was wir immer getan haben: Der Wacht wider den Schwarzpelz und dem Halten des Schildes über jene, die uns anbefohlen sind. Ich werde nicht das verlachte Kindermädchen von verwöhnten Brokatträgern sein!“
Walpurga sah Ardariel tief in die Augen und die Herzogin Weidens sah darin vieles, eine Trauer, die der ihren glich, Müdigkeit, Sehnsucht und die Gewissheit, das Richtige zu tun.
„Ardariel, was in der guten Götter Namen ist nur in dich gefahren? Du redest ja wirres Zeug. Beruhige dich und komm zu Besinnung!“
Ardariel legte den Kopf zur Seite. „Selten war ich so sicher, Herrin. Aber noch ist der Aarenstein nicht Euer, noch ist die Zeit nicht gekommen. Ihr, Herrin, wisst aber jetzt, wie es steht, und könnt Euch wappnen, so wie es der Herzogin Weidens gebührt. Lasst Euch Rat geben und seid vorbereitet, wenn die Zeit reif ist. Von ganzem Herzen danke ich Euch, für alles, Herrin. Ihr werdet von mir hören. Der Segen der guten Götter zu Alveran sei alle Zeit mit Euch!“ Erneut beugte die Gräfin Balihos das Knie und wandte sich dann um, eilte hinaus – floh beinahe, noch ehe die verdutzte Herzogin etwas Rechtes erwidern konnte.
***
Walpurga hatte sich auf den Bärenthron fallen lassen und sann über das nach, was Balihos Gräfin ihr gerade gesagt hatte. Sie konnte sich keinen rechten Sinn daraus machen. Lautlos war eine Gestalt durch den Gang aus Ingrams Löwenturm an sie herangetreten: „Diese Entwicklung gefällt mir nicht, gar nicht!“ „Gwynna, hör auf mir immer in die Gedanken zu reden, das ist ja nicht zum Aushalten!“ „Irgendjemand muss es machen, sonst kreist du immer wieder um dasselbe.“ „Du hast gehört, was die Nordfalkin sagte?“ „Eher habe ich es gespürt, das ist eine äußerst unerfreuliche Wendung der Dinge. Und es ist bei Weitem nicht deutlich, wie unerfreulich genau sie werden wird. Fatas Seiten sind störrisch in diesem Fall.“ „Was soll denn das bitte heißen?“ „Das heißt, dass du und dein Kanzler euch dringend beraten solltet. Das heißt, dass ihr einen kleinen Schritt zu weit gegangen seid und wir jetzt abwarten müssen, ob der Steg, den ihr beschritten habt, halten wird, ob er bricht oder ob er gar die auf ihm Stehenden in einen kalten Abgrund reißen wird.“ „Es musste aber etwas geschehen, die Balihoer wurden keck und ungeduldig.“ „Das sind sie immer, diese eitlen und rechthaberischen Traditionalisten. Du hättest dich seinerzeit fragen sollen, wie du den Lauf des Geschicks anstößt. Aber jetzt ist es getan und das Weitere wird geschehen. Allein fürchte ich, dass es größere Umwälzungen mit sich bringen wird. Und leider, leider gefallen die mir nicht, denn sie stören meine Pläne. Das ist äußerst bedauerlich.“ „Vielleicht wäre es dann sinnvoll gewesen, mich in deine Pläne einzuweihen, du alte Ränkeschmiedin!“ „Vielleicht. Wiewohl ich das zu bezweifeln wage, denn noch reichen diese besonderen nicht über den Moosgrunder Tann hinaus. Lass mich dir einen Rat geben: Warte nicht, sondern hole dir Rat bei Eberwulf. Säume keinen Tag, sondern breite dich vor. Ich werde in der Zwischenzeit selbst Rat suchen und halten, ich befürchte, dass wir hierbei noch ganz anderen Beistand brauchen werden. Doch das lass meine Sorge sein.“