Abreise ins Horasreich
Baronie Urkentrutz, Junkergut Schwarze Au, 10. Phex 1022

Lyssandra verknotete den Führstrick ihres Nordmähnenwallachs Jucco am Sattel der Tralloperstute „Gräfin Iriswiese“. Die Scheckstute war das Geschenk ihres Vaters zur Schwertleite gewesen. Sie war sechs Winter alt und solide ausgebildet. Eine „Investition in die Zukunft“ hatte ihr Vater sie genannt, denn die Stute war sowohl ein gutes Reitpferd als auch für Turniere und den Einsatz im Kampf perfekt geeignet.

„Natürlich wünschen wir uns alle, dass sie dich nicht oft in eine Schlacht tragen muss, ich bin mir aber sicher, dass sie dir treu dienen wird, wo auch immer du sie brauchst.“
Das waren die Worte des Junkers, als er der Tochter nach der Rückkehr aus dem Borbaradfeldzug, in den sie Accolon von Brachfelde noch als Knappin begleitet hatte, ihr Geschenk im heimischen Stall zeigte.

Und auch jetzt, einen halben Götterlauf später, war sie von Stolz erfüllt, wenn sie sich auf das stattliche Tier schwang. Der Vater und die Bediensteten des Junkergutes winkten ihr hinterher als sie die Stute über die Zugbrücke lenkte. Ein weiter Weg lag vor ihr. Sie sollte in etwa 6 bis 7 Wochen bei ihrem Onkel und ihrer Tante auf dem Gut Montalto in der Nähe von Shenilo ankommen. Die ya Papilios, Onkel Garis und Tante Alisa, erwarteten sie auf dem Stammsitz der Familie.

Begleitet wurde Lyssandra von Rainald Spatzentanner, einem Waffenknecht, den ihr Vater eigens dafür angeworben hatte. Der 30 Winter zählende dritte Sohn eines Freibauern hatte ihrem Vater im Götterlauf 1016 bei der Befreiung der Heldentrutz von den Orks gute Dienste geleistet. Nun freute sich der Vater dreier Kinder über den lukrativen Auftrag. Nur zu gern übernahm er die Aufgabe, die älteste Tochter des Junkers ins Horasreich zu begleiten.

Er saß auf einer Nordmähne, die ihr Vater erst ein Jahr zuvor eigentlich für Ysilda gekauft hatte. Doch die junge Stute erwies sich als zu temperamentvoll für Lyssandras jüngste Schwester. Sie würde noch ein paar Götterläufe brauchen bis sie als zuverlässiges Pferd für die Pagin taugen würde. Umso sinnvoller war es, sie auf einen solchen Distanzritt mitzunehmen. Da konnte sie an der Seite des erfahrenen, ruhigen Jucco und der gutmütigen „Gräfin Iriswiese“ lernen, mit unterschiedlichem Gelände und verschiedenen Herausforderungen zurechtzukommen. Sie würde an Kraft und Ausdauer gewinnen und hoffentlich etwas ruhiger werden.

***

Lyssandra genoss die gemeinsame Reise. Es ging über Greifenfurt und den Kosch knapp unterhalb von Gareth auf die Reichsstraße nach Eslamsgrund. Mit Genuss probierte Lyssandra die ortüblichen Köstlichkeiten, ließ sich von der abwechslungsreichen Landschaft überraschen und wurde sich der unterschiedlichen Baukultur und Lebensweise der Menschen entlang ihre Weges bewusst.

Die Lieblichkeit der Flusslandschaft des Yaquirs verzückte die Finsterbornerin immer wieder. Dann streckte sie die Hand aus und wies Rainald auf die Schönheiten der Landschaft, die prachtvollen Pferde oder Rinder und die beindruckende Vielfalt der Obstbäume und Feldfrüchte hin. Sie genoss ihre ersten Arangen, Pfirsiche und Mandeln, ließ sich scharf gewürzte Fleischspieße reichen und unbekannte Blumen erklären.

Rainald, der ihr inzwischen ein guter Freund geworden war, schien die Reise ebenfalls zu genießen, wenngleich er doch öfter anmerkte, dass er die deftigen Speisen des nördlichen Aventuriens vermisste.

Nach gut drei Wochen erreichten sie Punin, die prachtvolle Stadt, die ihre Einwohner ehrfuchtsvoll „Domna“ nannten. Lyssandra verliebte sich sogleich in die prachtvollen Paläste der Stadt. Weiße oder vom Sandstein sanft getönte Fassaden mit schmalen, spitzzulaufenden Fensteröffnungen, Türme und goldene oder silberne Kuppeln der Heiligtümer überragten die wimpel- und fahnengeschmückten Straßenzüge. Die beiden Weidener ritten am Amphitheater und den Gladiatorenschulen vorbei, sahen Thermengebäude und eine Arena für Wagenrennen. Alles wirkte so fremdartig und damit so wunderbar, dass Lyssandra nicht aus dem Staunen herauskam.

Die Unterschiede zwischen den reichen Contraden, wie man die Stadtzehntel nannte, und dem armen Unter-Punin konnten gravierender nicht sein. Waren die reichen Stadtzehntel aufgrund der Kanalisation ungewöhnlich sauber, schwappte das Wasser des Flüsschens Gorm den Unrat nach Unter-Punin und weiter in den Yaquir. Der Gestank dort war unbeschreiblich.

Lyssandra und Rainald bezogen in Tiefenbrunn, dem Händlerzehntel der Stadt, Quartier. Sie hatten kaum ihre Pferde untergebracht, als die Ritterin schon darauf drängte, die „Domna“ zu erkunden. Sie wollte unbedingt die berühmten Tempel sehen und bei einem Spaziergang durch die noble Contrade Ober-Punin einen Blick auf das Residenzschloss werfen. Mit einem Seufzen ergab sich Rainald und marschierte an der Seite der Ritterin den Goldacker genannten Hügel zum Schloss hinauf.

Die junge Ritterin mit dem rotbraunen Pagenschnitt betrachtete neugierig die Auslagen der Händler, erstand ihr erstes Punipan, genoss die frischen Früchte, die einem überall angeboten werden und stand mit einem Mal mit glänzenden Augen vor der Mauer, die das Residenzschloss umgab. Mit offenem Mund bewunderte sie den dreiflügeligen Prachtbau aus weißem Selaque-Marmor, der von der größten Kuppel gekrönt wurde, die sie bisher gesehen hatte. Und diese erstrahlte, ebenso wie die beiden etwas kleineren der Nebenflügel, in glänzendem Gold.
„Was für eine Pracht, Rainald! Sieh nur!“

Da musste nun selbst der Waffenknecht staunen. „Ja, die wissen zu leben, das muss man ihnen lassen. Aber mal ehrlich, Lyssandra, kannst du dir sowas in Weiden vorstellen?“

Die Finsterbornerin schüttelte langsam den Kopf. „Hm, nicht wirklich. Aber stell dir mal vor, wir hätten nicht die Orks im Nacken sitzen, wir müssten nicht ständig darum fürchten, dass alles was wir mit unserer Hände Arbeit errichtete haben im Nu dem Erdboden gleichgemacht wird. Naja, und natürlich muss man zugeben, dass das Land hier mehrere Ernten pro Jahr hergibt. Davon sind wir natürlich auch meilenweit entfernt. Es wird wohl bei einem Wunschtraum bleiben. Wobei ich schon sagen muss, dass mir Punin ausgesprochen gut gefällt.“

Da nickte Rainald. „Du hast recht. Es ist schon eine Reise wert, was?“

Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Komm, Lyssandra, reiß dich von dem Anblick los! Ich habe Hunger! Meinst du ich kann ihr irgendwo einen deftigen Braten bekommen?“

Die junge Ritterin rollte mit den Augen. „Wir können uns ja durchfragen… aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Es wird wohl eher ein paar exotisch gewürzte Häppchen geben.“

Die Miene des Waffenknechtes verdüsterte sich. „Ich meine, ich verstehe ja, dass man bei der Hitze nicht so viel essen kann, aber mein Magen ist halt immer noch nicht daran gewöhnt sich mit Kleinigkeiten zufrieden zu geben.“

Lyssandra lachte und versprach sich nach einem Lokal umzusehen wo sie nach Sonnenuntergang vielleicht auch ein vollwertiges Essen für den Weidener bekommen würden.

 

Sie verbrachten den Abend an einem einfachen Tisch einer tulamidischen Taverne, die zwischen zwei Häuserreihen gequetscht war. Überall saßen die Gäste, fast ausschließlich Männer, und tranken Tee. Rainald hatte Fleischspieße bestellt. Als der Kellner mit den Spießen erschien, entglitten dem Waffenknecht die Gesichtszüge. An dünnen Holzspießen hingen mehrere dünne Fleischfetzen, teilweise verbrannt. Als Rainald sich überwand und den ersten Bissen nahm, quollen ihm nahezu die Augäpfel aus den Höhlen. Er öffnete den Mund und stürzte den Wein, den er sich hatte geben lassen, in einem Zug hinunter.
„Ahhh, scharf!! Hilfe! Hilfe! Ich verbrenne!“

Lyssandra, die sich für ein Gemüsegericht aus dem Tonofen entschieden hatte und genussvoll den Löffel zum Mund führte, musste unwillkürlich grinsen. Sie schob Rainald ihren Tee hinüber. Der Weidener griff zum Teeglas und versuchte mit der heißen Flüssigkeit das Feuer auf seiner Zunge zu löschen. Doch der Versuch ging nach hinten los. Das heiße Getränk schien Funken auf dem Sinnesorgan für Geschmack und Sprache zu schlagen. Das Weiße in seinen Augen rötete sich augenblicklich. Er schob den Hocker so ruckartig zurück, dass dieser umfiel und rannte davon. Lyssandra konnte beobachten, wie Rainald den geöffneten Mund unter das fließende Wasser eines öffentlichen Brunnens hielt.

Einige Zeit später erschien der Waffenknecht wieder und ließ sich erschöpft wieder auf den Hocker sinken, den ihm der Kellner unterschob. Mitleidig beobachteten einige der Gäste der Taverne den von der Schärfe der Speise überwältigten Mann. Rainald betrachtete traurig das Fleisch auf seinem Teller. Es war offensichtlich, dass er nichts mehr davon essen wollte. Stattdessen wanderte sein Blick begehrlich zu Lyssandras Ofengemüse hinüber.

Wortlos schob die Ritterin Rainald den Teller hinüber. Gierig griffen seine Finger nach dem Brot, das man ihr dazu gereicht hatte und versuchte, sich einen Teil des Gemüses auf das Brotstück zu hieven. Er öffnete den Mund weit und schob das Fladenbrot hinein. Das mahlende Kauen seines Kiefers glich der Kaubewegung eines Kamels. Dieses hatten sie am Vortag auf einem Markt beobachtet und sich darüber amüsiert. Nun musste Lyssandra feststellen, dass auch Rainald Ähnlichkeit mit dem Höckertier hatte.

Der Hunger sprach aus dem Blick des Waffenknechtes als er den Brot-Gemüse-Speisebrei mit sicht- und hörbarem Schlucken hinuntergewürgt hatte. Die Finsterbornerin schob ihm mitleidig den Teller erneut hinüber. Doch Rainald schüttelte den Kopf.
„Danke, nein. Ich bin schon satt“, log er.

„Hm“, erwiderte Lyssandra. „Du kannst dir ja gerne noch was anderes bestellen…“

Das Kopfschütteln Rainalds kam schneller als sie den Satz beendet hatte. Es war offensichtlich, dass er keinen weiteren Versuch starten wollte die tulamidische Küche zu probieren. Achselzuckend tunkte sie das Fladenbrot erneut in die würzige Gemüsesoße und hebelte ein paar Stücke der Auberginen, Tomaten und Zucchini mithilfe des Brotes in ihren Mund.
Rainald wirkte unglücklich und als Lyssandra fertig war, griff er nach dem letzten verbliebenen Stück Brot und schob es sich eilig in den Mund.
„Komm, lass uns schlafen gehen!“, sagte er entmutigt.

Lyssandra nickte lächelnd. „Mach dir nichts draus, Rainald. Das Horasreich ist für seine gute Küche berühmt. Bald wirst du wieder was Ordentliches zum Essen bekommen.“

Der Blick des Waffenknechtes war zweifelnd. Seufzend nickte er dann aber und erwiderte. „Das will ich hoffen, Lyssandra. Sonst falle ich vom Fleisch!“

 

3. Peraine 1022

Sie waren einen weiteren Tag in Punin geblieben und hatten sich im Stadtzehntel Tempelhof den Platz des Schweigens mit dem beindruckend düsteren Tempel Borons und dem im Gegenteil dazu heiter und luftig wirkenden Regenbogentempel der Göttin Tsa gegenüber angesehen. Selten hatte Lyssandra die Gegensätze der beiden Alveranier, die sich dennoch so wunderbar ergänzten und bedingten so bewusst wahrgenommen. Später waren sie durch das Theaterviertel spaziert, am Pentagrammaton, dem fünfeckigen Hauptgebäude der wohl berühmtesten Magierakademie Aventuriens vorbei und hatten mit etwas Verhandlungsgeschick Karten für eine nachmittägliche Komödienaufführung in der Yaquirbühne ergattert. Gut gelaunt hatten Lyssandra und Reinald dann sogar noch das Glück mit Hilfe der Wirtin der Taverne in der sie Quartier bezogen hatten, das Gasthaus eines Weideners zu finden, den es der Liebe wegen nach Almada verschlagen hatte. Dort bekam Reinald dann letztlich auch weidener Hausmannskost, die er so schmerzlich vermisst hatte.

Der Morgen des 3. Peraine begrüßte beide dann mit einem Himmel, der wie gemalt aussah. Die Junge Göttin schien den Farbtopf ausgepackt zu haben und schmückte den östlichen Himmel mit einem kräftigen, malvenfarbenen Streifen, den sie horizontal zwischen zwei Blautöne gezogen zu haben schien. Gekrönt wurde das Schauspiel von einem glutroten Praiosmal, dass sich majestetisch am Horizont aus dem Boden zu graben schien.

Beeindruckt von dem Farbschauspiel am Morgenhimmel gaben Lyssandra und Reinald den Pferden die Zügel hin und ließen sie in Richtung Then trotten. In Kürze wurde es unbarmherzig heiß. Ein heißer Wind wehte von Praios her heiße Luft aus der Wüste Khôm. Lyssandra verstaute zunächst den Reisemantel auf ihrem Packtier. Schon gegen Mittag spürte sie, dass die Haut in ihrem Gesicht spannte und sich brennend heiß anfühlte. Ein Blick auf Rainald gab ihr Gewissheit. Die Haut ihres blonden Begleiters war krebsrot, überall dort wo die Haut nicht von Kleidung bedeckt war. Seine Nase wirkte wie ein rotbäckiger Apfel.

„Reinald, wir müssen uns an das Klima hier und der brennenden Hitze der Praiosscheibe anpassen. Unsere blasse, nordaventurische Haut ist für diese zerstörerische Kraft des Praiosmals nicht gewappnet. Ich glaube wir sollten uns einen Hut kaufen.“

Der Waffenknecht nickte erschöpft. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Auch er hatte sich eines Teils seiner Kleidung bereits entledigt und sah entsetzt auf die gerötete Haut seiner Unterarme, auf die ihn Lyssandra aufmerksam machte.
„So ein Mist. Da wird mir die Haut in wenigen Tagen in Fetzten abgehen!“

Die Ritterin nickte. Sie suchten die Karawanserei in Thun auf. Mehrere schlichten Gebäude aus Lehmziegeln, die mit Schilfrohr gedeckt waren, bildeten einen weitläufigen Hof, in dem reges Treiben herrschte. Laut ging es zu. Pferde, Esel und sogar Ziegen und Esel wurden getränkt, Lasttiere be- und entladen und unter den einfachen, schattenspendenden Vordächern der Gebäude saßen Menschen und tranken Tee, aßen Obst oder handelten mit ihren Waren.

Die beiden Weidener wurden neugierig und etwas misstrauisch gemustert. Lyssandra drückte einem kleinen Jungen mit dunklem Lockenkopf eine Münze in die Hand und wies ihn an, die Tiere zu tränken. Während dieser freudig nickend die drei Pferde zur Tränke führte, gingen Reinald und die Ritterin zu den Händlern, die ihre Waren auf einfachen Kisten und Säcken ausgebreitet hatten. Bunte Stoffe konnte man dort erstehen, Weinschläuche, Ziegenfelle und Tonwaren. Lyssandra sprach einen Mann an, dessen Turban ihn deutlich als Tulamiden kenntlich machte. Er blickte zunächst recht finster drein. Als die Finsterbornerin ihm dann aber die geröteten Arme und Gesichtshaut zeigte, lächelte er ein zahnloses Lächeln und nickte. Er hielt ihr einen dünnen, seidigen Stoff hin.

Als Lyssandra ihn fragend ansah bemühte der Tulamide sich, ihr den Stoff um Kopf und Hals zu schlagen, so dass nur noch das Gesicht heraussah. Sie nickte lächelnd. Ja, für sie war das durchaus eine Möglichkeit Kopf und Hals sowie zumindest die Oberarme vor der Glut des Götterfürsten zu schützen. Sie bildete mit den Händen ein Dach über ihrem Kopf und zeigte auf Reinald.

Der alte Tulamide schüttelte den Kopf, zeigte dann aber auf seinen Kopfputz. Der Blick des Weideners ließ erahnen was er von diesem Vorschlag hielt. Also schüttelte sie den Kopf. Nach einigem Hin und Her bei den Preisverhandlungen einigten sich die Finsterbornerin und der Tulamide auf einen Preis für den Stoff und Lyssandra ließ sich noch einmal genau zeigen, wie man es geschickt anlegte.

Dann steuerte sie mit Rainald die Tische und Stühle unter dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes an, um sich dort zu stärken. Sie bekamen Wasser, Tee und Obst angeboten. Es gab herrlich erfrischende Melonen, frisch gepressten Arangensaft und süße Leckereien aus Datteln, Feigen, Honig und in einem blättrigen, hauchdünnen Teig.

Ein hübsches Tulamidenmädchen bediente sie und als sie Saft, Obst und Tee brachte, versuchte Lyssandra auch sie nach Möglichkeiten zu fragen, was man gegen die unbarmherzige Praiosstrahlung machen konnte. Das Mädchen lächelte. Sie sprach nur schlecht Garethi, verstand aber wohl worauf die fremdländisch wirkende Frau hinauswollte. Kurze Zeit später erschien sie erneut. Sie hatte einen kleinen Tontopf bei sich. Er enthielt staubige hellbraune Erde. Auf Lyssandras fragenden Blick hin, schüttete das Mädchen etwas Pulver in die Vertiefung des Deckels, goss etwas Wasser dazu und verrührte das Erdpulver mit dem Finger zu einer Paste. Diese strich sie dann Reinald auf die Nase und die Wangen. Der Waffenknecht blickte überrascht und wollte es zunächst abwehren. Als aber Lyssandra ihn bat, die junge Frau gewähren zu lassen, ließ er es zu. Auch die Ritterin ließ sich mit der Paste bemalen. Beide Weidener mussten lachen als sie sich gegenseitig ansahen. Auch das Mädchen lachte. Dann nannte sie den Preis für den Tontopf mit Inhalt. Die Verhandlungen zogen sich eine Weile hin, dann einigte man sich. Zufrieden ließ sich die Finsterbornerin die Erfrischung schmecken.

Sie machten sich erneut auf den Weg und verbrachten die Nacht in einer einfachen Weggaststätte. Am folgenden Tag wollten sie die Kaiserpfalz Cumrat erreichen.

Die folgenden Tage ritten sie entlang des Yaquir durch das großartige Weinanbaugebiet, das in gesamt Aventurien bekannt war. Weingüter und Rahjaschreine säumten den Weg, Pilger auf der Viergötterwallfahrt wanderten auf demselben Weg wie die beiden Weidener, bis sie am 10. Peraine Brig-Lo erreichten. Der geschichtsträchtige Ort an dem sich die zweite Dämonenschlacht ereignet hatte, zog Pilger der Alveranier Praios, Rondra, Efferd und Ingerimm von nah und fern an. Dazu eine Reihe von Rashtullahgläubigen, die in dem Erscheinen der vier Götter während der Dämonenschlacht ein Zeichen für das Wiedererscheinen ihres Gottes sahen.

Es gab eine Unmenge an Tavernen und Herbergen in Brig-Lo, um die Pilgerströme aufzunehmen. Nachdem sie in der Taberna „Hela“ ihr Nachtquartier bezogen hatten, statten sie dem Vierertempel auf dem ehemaligen Feldherrenhügel der Hela-Horas und dem Schlachtfeld mit seinen Monumenten und Gräbern einen Besuch ab. Zurück in dem Ort, der aus einer Reihe einfacher Lehm- oder Holzhäuser bestand, ließen sie sich vor einer Taberna unter deren schützenden Strohdach nieder. Beim süffigen Wein der Region lauschten sie den Geschichten von Guhlen, Untoten und Geistern, mit denen die Einheimischen die Pilger zu beeindrucken suchten. Meist ließen sich die Geschichtenerzähler auf einen Wein oder ein Essen einladen oder hielten ungeniert die Hand auf, um sich für ihre Schauermärchen entlohnen zu lassen. Amüsiert beobachteten Lyssandra und Rainald diese Begebenheiten und ließen sich Fisch aus dem Yaquir schmecken, der auf dem offenen Feuer gegrillt worden war.

Drei Tage später erreichten die Weidener die Reichsgrenze.