Anmerkung: eine Anekdote aus dem Rondra-Tempel Lohenharsch, die mit einem Augenzwinkern zu genießen ist. ;-)

Lohenharsch zu Baliho, Ende 1029 BF

Es klopfte an der schweren Eichentür und noch ehe Alinja den Kopf von ihrer Arbeit heben und den Zutritt gestatten konnte, polterte ihre Novizin Fiana von Wolfsstieg auch schon ins Zimmer. In ihrer Faust hielt sie den neuesten Aventurischen Boten und wedelte damit umher. Wut brannte auf ihrem sonst so ruhigen Antlitz und wenn es nicht allein dies wäre, hätte schon die Art ihres Auftritts Alinja alarmiert. Ihrer Verblüffung zum Trotz legte die Schwertschwester ihre Feder mit Bedacht zur Seite, streute Sand über die noch nasse Tinte und widmete sich Fiana erst, als sie auch noch das Tintenfass verschlossen hat.

“Nun? Was erregt deinen Zorn derart, dass du alles vergisst, was ich dir über Benimm in den letzten 5 Jahren beigebracht habe, Tochter?” Nur kurz zuckte die Augenbraue der Bornischen. Sie lehnte sich zurück und ihr Blick bohrte sich in Fianas Augen.

“Habt Ihr das gelesen, Hochwürden”, Fiana schien – und das war im höchsten Masse irritierend – vollkommen unbeeindruckt von Alinjas tadelnden Worten.

Ein wenig aus dem Konzept gebracht, richtete die Schwertschwester sich auf und platzierte ihre Ellbogen auf der Schreibtischkante. Sie faltete die Hände, verschränkte die Finger und hob die Augenbraue noch ein Stück weiter. “Was, Fiana? Was aus dem bunten Strauss halbgarer Informationen, die im Aventurischen Boten zu finden sind, meinst du? Nicht, dass ich das Blättchen schon gelesen hätte. Ich gehe weiterhin davon aus, dass ausreichend Bedeutsames mir auch ohne diese Lektüre zu Ohren kommt. Aber ich frage mich nun schon, ob etwas, was in dieser ... Gazette ... geschrieben steht, mich wohl derart aus der Fassung bringen könnte, wie du es gerade bist?”

Fiana knallte die nunmehr zerknitterte Ausgabe des 119’er Boten auf den Schreibtisch der Tempelvorsteherin und brachte die marmorne Nachbildung der weißen Rondra von Norburg damit gefährlich ins Wanken. Alinja griff blitzschnell zu und hinderte die Figur am Umkippen. “Ah ... Skutigera”, herrschte sie ihre Novizin verärgert an. “Fasse dich! Du sollst die Wut beherrschen, nicht sie dich.”

“Verzeiht, aber lest, dann versteht Ihr”, ein wenig schien die Novizin durch diesen kleinen Zwischenfall an Elan zu verlieren. Sie verschränkte die bebenden Hände auf dem Rücken und harrte Alinjas Reaktion mühsam beherrscht.

“Und was, Hesinde hilf? Ich behaupte ja nicht, dass dies schwere Lektüre wäre, aber sie ist noch ermüdender, wenn man nicht weiß, was in dieser Buchstabenvielfalt dich derart erzürnt.” Alinjas anfänglich sarkastische Stimmung begann in echten Ärger umzuschwenken. Sie erhob sich und griff energisch nach der Zeitung.

“Sie haben einen Bericht über den Orden vom Bannstrahl Praios drin ... in dieser Reihe, in der sie alle möglichen Orden vorstellen ...”, hub Fiana an.

“Ah ja, ich entsinne mich. In ihrem Bestreben das Volk zu bilden, vielleicht sogar der schlangengleichen Lehrmeisterin zum Gefallen. Die Herrin gebe, dass sie nicht eines Tages auf den Gedanken verfallen, sie wüssten den Bund des Schwertes in Worte zu fassen die jeder versteht, der die Kusliker Zeichen entziffern kann. Du erregst dich also einmal mehr über den Bannstrahl?” Alinja seufzte. “Fiana, bei allem Verständnis, lass’ ab von diesem Pfad! Du hast in vielem, was du ihnen vorwirfst recht, Tochter. Doch vergifte deine Seele nicht mit diesem Hass. Wie ich dir schon sagte: Sei deiner selbst in der Huld der Herrin sicher! Diese fanatischen Kleingeister können weder dich, noch deinen Glauben und noch viel weniger die heilige Kirche der Herrin Rondra ankratzen. Nichts, was sie sagen, sollte dich dermaßen in heiligen Zorn versetzen. Nichts was sie tun, dich deine Kontrolle über dich selbst kosten.”

“Ja, Hochwürden, aber lest ... lest was sie über die Ansichten der Bannstrahler schreiben, am Ende des Artikels.” Die Novizin gestikulierte ungeduldig in Richtung des Boten.

Resigniert seufzend schlug Alinja das Blatt auf, ließ die einzelnen Seiten durch die Finger gleiten, derweil ihr Auge suchend über Überschriften und Textfragmente glitt. “Ah ... da ist er ja. Nettes Bild, sie beschäftigen also noch immer dieselbe ... ähm ... darf man sie Künstlerin nennen?” Ihr Mund verzog sich zu einem arrogant-spöttischen Lächeln und sie warf ihrer Novizin über den Rand der Zeitung hinweg einen Blick zu. Fiana wirkte nicht im Mindesten so, als wäre sie zu Scherzen aufgelegt und dies schmälerte das Amüsement der Schwertschwester beträchtlich. „Jeee, du bist in der Tat völlig aus dem Gleichgewicht. Am Ende des Textes sagst du?“

“Jawohl ... Stellungnahmen zu anderen Kirchen, rechte Seite, links oben.“

Alinja brummte und vertiefte sich in den Artikel. Während sie las, machte sie Anstalten, sich zu setzen, doch dann verhielt sie in der Bewegung und alles an ihrer Haltung veränderte sich. Ihr Kinn schob sich langsam vor, ihr Auge verengte sich, wie so oft im Angesicht eines Feindes. Betont langsam legte sie die Zeitung auf den Tisch und setzte sich dann doch, ohne dass dieser Bewegung allerdings Entspannung folgte. Langsam stellte sie die Ellbogen wieder auf den Tisch, faltete die Hände und legte ihr Kinn darauf. ‘Für die direkte Konfrontation mit offensichtlichen Feinden geeignet, neigt der Rondrianer im alltäglichen Umgang dazu, seine Stellung und die Stellung der Leuin hochmütig zu überschätzen’, las sie wohl artikuliert vor.

Jeder Anflug von Heiterkeit war verschwunden, der Ausdruck ihres dunkelbraunen Auges wandelte sich und obgleich es schwer war, dies in dieser Deutlichkeit festzumachen, hatte Fiana den Eindruck, das vormals warme Braun des Auges blitzte jetzt im unzerbrechlichen Glanz eines polierten Löwenauges. Der ganze Ausdruck in Alinjas Gesicht veränderte sich, die vertraute Offenheit, die sie Fiana gegenüber zuweilen zeigte, verschwand und darüber legte sich die harte, ausdruckslose Miene, die bei Alinja Indiz auf äußerste Verstimmung war. Fiana war, als lege sich dieser Ausdruck wie ein Visier über ihrer Schwertmutter Gesicht.

“Ich verstehe”, kam es schließlich kalt. “Setz’ dich, Tochter.” Alinja stand auf, räumte den Schreibtisch vor Fiana frei, kramte ein Stück Pergament hervor, platzierte es vor ihrer Novizin. Dann suchte sie aus der Vielfalt ihrer Schreibfedern eine hervor, mit der es sich besonders groß schreiben ließ und schob diese sowie das Tintenfass zu Fiana hinüber. “Ein wenig habe ich dich in die Kunst der Kalligraphie eingewiesen. Während ich meine Eintragungen vollende, schreib diesen Satz in schönen großen Buchstaben ab, ohne Fehler und Wort für Wort, hast du verstanden?”

Fiana nickte und zwängte ein “Jawohl!” hervor. Zumindest den Auftrag hatte sie verstanden, den Sinn dahinter jedoch nicht.
“Sehr gut und lass Dir Zeit!” Alinja schob der Novizin den Aventurischen Boten zu und widmete sich hernach voller Konzentration der Arbeit, die Fianas Erscheinen unterbrochen hatte.

***

Nach einem viertel Wassermaß war Fiana mit ihrem Werk einigermaßen zufrieden. Sie war sich sicher, keinen Fehler gemacht zu haben. Die Schönheit der Buchstaben war höchstens bescheiden zu nennen und erneut hatte sie das Gefühl, diesbezüglich keinerlei Begabung zu besitzen. Vorsichtig verwendete sie den kostbaren Ablöscher, blies zusätzlich über die glänzend schwarzen Buchstaben und riskierte dann einen Blick zur Schwertschwester, die mit gesenktem Haupt in ihre Arbeit vertieft schien.

“Ich bin fertig, Hochwürden. Ihr müsst verzeihen, schöner bekomme ich es nicht hin. Mir ist keine so großer Kunstfertigkeit inne, wie Euch.” Zögernd hielt sie Alinja das Pergament vor.

Die Bornische betrachtete das Werk ihrer Schwerttochter und nickte zufrieden. “Solide Schreibarbeit, Tochter, mehr verlange ich nicht. Wenn Du diesbezüglich höhere Ansprüche an dich stellst, kann ich darum ersuchen, dass du für einige Monde auf dem Rhodenstein ausgebildet wirst. Vieles ist nicht Begabung sondern Technik und Übung.”

“Meint Ihr wirklich?”, die Aussicht, diese Kunst etwas besser zu beherrschen hatte eine gewisse Anziehungskraft auf Fiana.
“Nein, ich meine nicht, ich weiß! Und nun”, Alinja erhob und streckte sich. “Sei so freundlich und halte dieses Zeugnis praiosgefälliger Verblendung direkt vor das Gebälk neben der Weiden-Karte, etwa in Augenhöhe.”

Fiana verstand kein Wort. “Wie ... äh ...?”

“Keine radebrechenden Nachfragen, Tochter. Verfahre, wie ich dich angewiesen habe.”

Fiana fühlte sich versucht, sich als Opfer eines schlechten Scherzes zu fühlen. Dies wäre allerdings das erste Mal gewesen, dass sich ihre Schwertmutter zu einem solchen hätte hinreißen lassen. Außerdem belehrte sie ein Blick in Alinjas Gesicht eines besseren. Der Ausdruck darin war eiseskalt. Also entsprach Fiana dem Befehl der Schwertschwester, die sie dabei nicht aus den Augen ließ.

Alinja hatte ihre Borndorne schon lange nicht mehr benutzt. Wenn sie guter Laune war, übte sie manchmal damit, aber als Waffe im Kampf setzte sie sie nicht mehr ein. Heute brach sie mit dieser Gewohnheit. Sie vergaß, dass sie nicht mehr so genau traf, seit sie ihr Auge eingebüsst hatte, blendete sogar die Gefahr aus, in die sie Fiana brachte. Sie hob das Geschenk ihres Bruder, visierte das Pergament an und mit einem trockenen Knall traf die Wurfwaffe recht genau die Mitte über der Schrift, wo sie leicht zitternd stecken blieb.

Fiana erschrak fürchterlich, als Alinja den Borndorn zückte, doch so schnell wie alles vor sich ging, hatte sie nicht genug Zeit sich zu ängstigen. “Hochwürden”, stieß sie nur erstickt hervor.

“Nichts, Tochter”, presste diese zwischen den Zähnen hervor, “nichts wird jemals umsonst getan, kein Wort umsonst gesagt, noch weniger vergeblich geschrieben. Es kommt der Tag, an dem diese Worte auf die zurückfallen, die sich erdreistet haben sie laut auszusprechen. Und an diesem Tag werden wir bereit sein, den Preis für die Beleidigung der Herrin und ihrer heiligen Kirche einzufordern.”

Fianas Zorn verblasste vor der determinierten und dennoch eiskalten Wut ihrer Schwertmutter und sie konnte den Schauer, der ihr bei dieser Erkenntnis über den Rücken lief, nicht hindern.